Betrachtet das Bild mit ernster Mine unter der Lupe.Frau Schwärzer, bitte bringen Sie mir und meinem Gast einen Kaffee und schließen Sie dann von außen die Tür. Ich möchte nicht gestört werden.
Die Vorzimmerdame bringt den Kaffee und nickt dann pflichtbewusst.Bitte setzen Sie sich doch.
Schlürft einen Schluck.Herr Genossin Wodkowitsch, dies ist ein höchst delikater Fall. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass unser großer Presidente dermaßen ungleichgestellt ist. Immerhin habe ich das generische Femininum nur mit seiner Hilfe durchsetzen können. Wollen wir uns den Sachverhalt einmal genauer ansehen. Sie wissen ja, bis zum Beweis des Gegenteils, gilt die Unschuldsbehauptung. Können wir den Presidente hier durch eine wohlwollende Interpretation entlasten?
Nun, zum einen bemerken Sie sicher die fehlenden Absätze der Schuhe der Dame auf dem Bild. Wie jeder weiß, sind Frauen eher das Laufen mit hohen Absätzen gewohnt. Entsprechend ist die Gefahr, bei anderem Schuhwerk auszurutschen durchaus nicht aus der Luft gegriffen. Das Knien wäre also leicht durch ein Ausrutschen beim Morgengang zu erklären.
Sicher ist Ihnen die Merkwürdigkeit aufgefallen, dass der Presidente im Geschäftsanzug im Bett liegt. Ich weiß aus eigenen Spähern, dass dies nicht seinen Schlafgewohnheiten entspricht. Da das Foto früh morgens
gemalt geschossen wurde, war der Presidente also bereits aufgestanden und in Schale geworfen und hat sich danach wieder ins Bett gelegt. Wieso das? Nun, lieber
Watson Herr Genossin Wodkowitsch die Geschichte ergibt nur so einen Sinn: Der Presidente hat sich angezogen, das Frühstück für seine Frau gemacht und es ins Schlafzimmer gebracht. Er wollte ihr also das Gedeck ans Bett bringen. Die Frau, inzwischen im Morgenmantel kurz aufs WC verschwunden, kehrt zurück, ist überwältigt von der Fürsorge, verliert den Halt, stürzt zu Boden. Der Presidente hätte sie auch aufgefangen, wären seine Hände nicht hinter dem Kopf verschränkt gewesen.
Ein weiterer schlagender Gegenbeweis, der Presidente ist Rechtshänder und ein Büromensch. So jemand ist es gewohnt, die Kaffeetasse mit der linken Hand zu fassen, da er mit der rechten Hand immer irgend etwas schreibt oder unterzeichnet. Eine anständige Frau würde ihrem Mann doch niemals das Frühstücksgedeck falsch herum servieren. Auf dem Foto steht es aber falsch herum. Ergo kann das Frühstück nur für die Frau angerichtet worden sein, die es eben nicht gewohnt ist, den ganzen Tag im Büro zu sitzen, weil sie nämlich auf die Kinder aufpasst oder den Haushalt macht.
Und der letzte Beweis in der Kette: Auf dem Tablett steht ein Lippenstift. Das Frühstück kann also auf keinen Fall unserem Presidente gelten. Es sei denn, er übertreibt es mit der Gleichstellungsidee.
Wenn man dem Presidente eines vorwerfen kann, dann dies, dass die Überwältigtheit seiner Frau nur durch Überraschung entstehen konnte. Das wiederum heißt, der Presidente macht ihr nicht sehr oft das Frühstück, sonst wäre sie ja nicht so überrascht gewesen. Das allein reicht aber nicht für ein Verfahren.
Lieber Herr Genossin, wie Sie sehen, ich bin lange genug Jurist, um die Anklage im Handumdrehen vor jedem Gericht zu zerpflücken. Nicht umsonst war ich Jahrgangsbester. Gewiss findet der PResidente im Falle einer Verhandlung viele renommierte Anwälte, die in Zusammenarbeit sicher auch das herausbekommen, was ich alleine hier vorgelegt habe.
Wir haben nun folgende Möglichkeiten. Entweder, Sie bestehen auf ein Verfahren, dann muss ich der Sache behördlich nachgehen. Oder wir benutzen das Foto dazu, um beim Presidente eine kleine Gefälligkeit einzufordern, wenn Sie verstehen, was ich meine. Welchen Weg möchten Sie gehen?
Schlürft abwartend an der Kaffeeersatzmischung.